Cover: Das dritte Land - Karina Sainz Borgo
Buchvorstellungen

Das dritte Land – Karina Sainz Borgo

April 4, 2023

Angustias Romero ist auf der Flucht vor der Seuche. Mit ihrem Mann und den sieben Monate alten Zwillingen auf dem Rücken ist sie unterwegs in die Berge, auf dem Weg ins rettende Nachbarland. Überall Beschwernis, Hitze und Staub. Die beiden Kinder überleben die Reise nicht.
An der Grenze unterhält Visitación Salazar einen illegalen Friedhof: Das dritte Land. Gegen den Widerstand von Kartellen und Todesschwadronen bietet sie den Ausgestoßenen einen Grabplatz. Hier endlich findet die Mutter der toten Zwillinge einen Ort. Sie beschließt, bei ihnen zu bleiben und die Totengräberin in ihrem Kampf zu unterstützen.
(Klappentext)

Das Land, aus dem Angustias fliehen will, wird nicht näher benannt. Auch nicht das Land, das als Zufluchtsort dienen soll, nicht. Es ist zu vermuten, dass die Geschichte unweit der kolumbianischen Grenze spielt, vielleicht an der Grenze zu Venezuela.

Es steckt viel Literatur im eigentlichen Sinne, Passagen, die interpretiert werden wollen, in dem Roman. Die Pest oder Seuche, die hier als Synonyme stehen, können gleichgesetzt werden mit einer gewissen Verwahrlosung, Lebensweisen in völliger Armut ohne Hoffnung, ohne Zukunft. Zudem kommt, auch das ist hineininterpretierbar, die Angst vor Krankheiten – warum nicht auch Corona.

Niemand war in der Lage, die Epidemie des Gedächtnisverlustes zu erklären, die alle in Gespenster verwandelte und den Himmel mit Geiern erfüllte. Sie machte uns nutzlos, bis sich Angst und Vergessen über uns legte.

Seite 12

Also versuchte Angustias zu fliehen. Sie kam bis zum dritten Land, ein Grundstück, das eigentlich niemanden gehört. Das zwischen den Grenzen zweier Staaten liegt. Dort wurde der Friedhof für alle gestrandeten Seelen, für alle Vergessenen, für alle vom Leben verlassen und verlorenen Überbleibseln geschaffen. Ein dämonischer Ort in einer Welt, die nicht existiert.

Karina Sainz Borgo erzählt aber keine phantastische Geschichte. Im Gegenteil: Sie zeigt auf, was die Menschen auszustehen haben: Korruption, totale Armut, Ausbeutung, Kämpfe bis zum Tod. Und hier ist das Buch als politischer Roman zu sehen.

Es liest sich, so kam mir es immer wieder in den Sinn, als würde man einen Italowestern sehen (auch die konnten politisch motiviert sein). Oft hatte ich eine Szene aus irgendeinem dieser Filme vor Augen: Ein Indianermischling, der seinen Angehörigen nicht auf dem ortseigenen Friedhof beerdigen durfte, weil er anders war. Bis ihm tollkühne Helden halfen.

Nun, dieses Buch geht anders aus …

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Was mich an den Romanen von Karina Sainz Borgo immer wieder fasziniert, ist ihre Sprache, ihre Metaphern, ihre auf den Punkt ausgefeilten Worte ohne irgendwelchen Zierrat drumherum.

Meine Vorstellung ihres Romanes „Nacht in Caracas“: http://andreasweb.blog/buchvorstellungen/nacht-in-caracas-karina-sainz-borgo/

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ISBN: 978 3 10 397122 4
Verlag: S. Fischer
Aus dem Spanischen von Angelica Ammar

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