Nachtleuchten - Maria Cecilia Barbetta
Buchvorstellungen

Nachtleuchten – Maria Cecilia Barbetta

Dezember 3, 2019

Völlig unvoreingenommen nahm ich mir den Roman vor, stellte jedoch bald fest, dass mir Fakten aus der Zeit fehlen, in der dieser Roman spielt. Ich unterbrach die Lektüre und begann zu recherchieren.

„Nachtleuchten“ spielt in den Jahren 1974 und 1975. Was geschah in Argentinien in dieser Zeit?

Der politische Hintergrund

  • 1973 kehrte Juan Peron aus dem Exil zurück und übernahm im gleichen Jahr die Amtsgeschäfte (2. Amtszeit des demokratisch gewählten Präsidenten Argentiniens)
  • 1974 stirbt Peron
  • Seine Frau Maria Estella Martinez de Peron (genannt Isabella) übernimmt das Amt (Peron hatte sie vor seinem Tod zur Vizepräsidentin ernannt)
  • Schon Juan Peron gründete eine paramilitärische Einheit AAA (Alianza Anticomunista Argentina), die unter Isabella immer stärker wird
  • Die AAA geht gegen Linke und Andersdenkende vor (erste Vorboten der 1976 durch einen Putsch an die Macht kommenden Militärdiktatur)

Nachtleuchten

Erneut nahm ich Anlauf, las den Roman unter den recherchierten Gesichtspunkten noch einmal. Jetzt öffnete sich mir eine völlig neue Welt.

Der Aufbau des Romans

Es gibt 3 Teile, die jeweils in 33 Kapitel (jedes Mal mit 1 bis 33 betitelt) unterteilt sind. Es folgt ein vierter Teil, den man als Epilog bezeichnen könnte, der ein einziges Kapitel – Kapitel 100 – beherbergt.

Die drei ersten Teile sind natürlich die wichtigsten, was das Leben der Menschen im Stadtteil Ballester betrifft. Sie spielen alle zur selben Zeit, manchmal nebenher, erzählen aus verschiedenen Blickwinkeln (deshalb zählen die unterteilenden Kapitel auch gleich von 1 bis 33). Den vierten Teil möchte ich erst einmal ausklammern, dazu später einige Worte.

Inhalt

Teil 1: „Bloody Mary“

Im Mittelpunkt steht Theresa, 11 Jahre alt. Sie geht in eine Klosterschule für Mädchen, in der sogenannte „Externe“ (wie Theresa) und „Interne“ (Mädchen, die im angeschlossenen Internat leben) unterrichtet werden.

Theresa kommt auf die Idee, eine Madonna, die mit einer fluoreszierenden Farbe bemalt ist (das Nachtleuchten), allen möglichen Nachbarn aufzuschwatzen – diese jeweils eine Woche bei den Menschen zu belassen, in der Hoffnung, ihre kurzzeitigen Besitzer zu bekehren.

Die Madonna taucht im ganzen Roman immer wieder auf, wird bald „Madonna von Ballester“ genannt.

Teil 2: „Autopia“

Hier lernen wir das pure Leben des Viertels kennen. Autopia ist eine Autowerkstatt, in der alle möglichen Leute auf einen kleinen Schwatz vorbei kommen. Da ist der Friseur aus dem Salon „Ewige Schönheit“, vor dem Waschsalon „Clean Eastwood“ glänzen selbst die Fliesen auf dem Gehsteig.

Teil 3: „Die Basilisken“

In diesem Teil scheint sich das Viertel langsam zu verändern, erste Vorboten der kommenden Politik sind auszumachen.

Teil 4: „Die vierte Dimension“

Hier wird deutlich, das „Nachtleuchten“ bezieht sich auf die Madonna, die aufgrund ihrer Farbe in der Nacht sichtbar ist.

Die Madonna stürzt ab. Im Fallen, kurz bevor sie in tausend Teile zerspringt, wird das was die Madonna in jedem Haushalt, in dem sie stand, sah (also der ganze Roman) in einem einzigen Satz, der sich über fünf Seiten zieht, rekapituliert.

Es ist das Leben, das angeblich kurz vor dem Tod vor den Augen des Sterbenden vorbei zieht. Diese Metapher ist auf das kleine Stadtviertel Ballester in Buenos Aires zu beziehen.

Fazit

Mich fasziniert und beschäftigt der Roman. Es gibt vieles aus der Geschichte des Südamerikanischen Landes zu entdecken. Es öffnet sich das Leben in einem Stadtteil von Buenos Aires, in dem die Schriftstellerin selbst lebte.

Ein gesellschaftliches Panorama, eingerahmt in vielen kleinen Geschichten, etwa so, als würde ein ganzer Stadtteil unter einem Mikroskop sichtbar.

Sprachgewandte und einfallsreiche Episoden springen aus dem Hintergrund, zeigen alltägliches, verstecken sich hinter anderen, hervorquellenden Bildern.

Ein Kaleidoskop des Lebens.

Empfehlenswert – Lesenswert

  • ISBN: 978-3-10-397289-4
  • Verlag: S. Fischer

Maria Cecilia Barbetta

… wurde 1972 in Buenos Aires, Argentinien, geboren und wuchs in dem Viertel Ballester auf, in dem der Roman spielt. Sie kam 1996 nach Berlin und blieb. Bereits ihren ersten Roman „Änderungsschneiderei Los Milagros“ (2008) schrieb sie auf Deutsch. Er wurde u. a. mit dem aspekte – Literaturpreis und dem Albert – von – Chamisso – Förderpreis ausgezeichnet. Vor dem Erscheinen des zweiten Romans „Nachtleuchten“ wurde ein Auszug des Manuskriptes mit dem Alfred – Döblin – Preis geehrt. (Umschlagtext)

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