Es ist nicht einfach. Das eine Buch, ohne das andere vorzustellen, ist schlicht unmöglich.
Ich bin der Meinung, es hätten beide Romane in einen Band gehört: Befasst man sich nach dem Lesen des ersten Textes „Der Passagier“ ohne seine Fortsetzung zu kennen, mit dem Inhalt tiefgründiger, werden Gedanken, Interpretationen an ihre Grenzen stoßen. Ich kann mir nicht vorstellen, was ein Leser denken würde, fällt die Wahl zuerst auf „Stella Maris“.
Ich nenne „Stella Maris“ Fortsetzung. Das ist eigentlich nicht richtig. Der Text füllt Lücken. Lücken, die „Der Passagier“ aufreißt. Trotzdem verschließen sie sich nicht ganz.
„Der Passagier“ und seine Erweiterung „Stella Maris“ sollten unbedingt in besagter Reihenfolge und ohne Unterbrechung gelesen werden.
Der Passagier
1980, Pass Christian, Mississippi: Bobby Western, Bergungstaucher mit Tiefenangst, stürzt sich ins dunkle Meer und taucht hinab zu einer abgestürzten Jet Star. Im Wrack findet er neun in ihren Sitzen festgeschnallte Leichen. Es fehlen: der Flugschreiber und der zehnte Passagier. Bald mehren sich die Zeichen, dass Western in etwas Größeres geraten ist.
Er wird von Männern mit Dienstausweisen verfolgt, wird heimgesucht von der Erinnerung an seine Eltern, die an der Erfindung der Atombombe beteiligt waren, und von der Trauer um seine Schwester, seine größte Liebe und sein größtes Verderben. (Klappentext)
McCarthy erzählt vom Leben, von den Erlebnissen des Bobby Western. Beginnend mit dem Zeitpunkt der Entdeckung des Flugzeugwracks in den Tiefen des Meeres begleitet der Leser einen Mann, der von menschlichen Ängsten umgeben ist.
Die Story zieht sich so lange, bis die Figur des Bobby Western irgendwann verblasst. Verblasst in dem Sinne, dass sie, ähnlich einem Gespenst, unsichtbar wird.
„Der Passagier“ ist ein philosophisch – psychologischer Roman, der nicht nur menschliche Abgründe, sondern auch gesellschaftliche Fehlinterpretationen aufzeigt.
ISBN: 978 3 498 00337 1
Verlag: Rowohlt
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Stella Maris
1972, Black River Falls, Wisconsin: Alicia Western, zwanzig Jahre alt, lässt sich mit vierzigtausend Dollar in einer Plastiktüte und einem manifesten Todeswunsch in die Psychiatrie einweisen. Die Diagnose der genialen jungen Mathematikerin und virtuosen Violinistin: paranoide Schizophrenie. Über ihren Bruder Bobby spricht sie nicht. Stattdessen denkt sie über Wahnsinn nach, über das menschliche Beharren auf einer gemeinsamen Welterfahrung, über ihre Kindheit, in der ihre Großmutter um sie fürchtete – oder sie fürchtete?
Alicias Denken umkreist die Grenzgebiete der Physik, Philosophie, Kunst und Sprache. Und sie ringt mit ihren selbst gerufenen Geistern, grotesken Figuren, die nur sie sehen und hören kann. Die Protokolle der Gespräche mit ihrem Psychiater zeigen ein Genie, das an der Unüberwindbarkeit der Erkenntnisgrenzen wahnsinnig wird, weder im Reich des Spirituellen noch in einer unmöglichen Liebe Erlösung findet und unsere Vorstellungen von Gott, Wahrheit und Existenz radikal in Frage stellt. (Klappentext)
Der zweite Band, der Nachfolgeroman von „Der Passagier“ ist ein Psychogramm, das einen Blickwinkel auf unsere Gesellschaft, unseren täglichen Umgang schärft und verändert.
„Stella Maris“ ist der Name der psychologischen Anstalt, in die sich Alicia jetzt schon zum dritten Mal (und zum letzten Mal) einweisen lassen hat.
Jedes Kapitel gibt das jeweilige, in chronologischer Reihenfolge aufgenommene, Gespräch zwischen ihr und dem behandelnden Psychologen wieder.
Mit diesem Roman schließt sich nur inhaltlich ein gewisser Kreis in den Welten der Familie Western.
ISBN: 978 3 498 00336 4
Verlag: Rowohlt
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Fazit
Auf dem Umschlag von „Stella Maris“ steht: „Zwei Romane ohne Vorbild. Die Wahrheit des einen negiert die des anderen.“
Beide Bücher vermitteln ein ungeheures Wissen, man kann schon von einer Unmenge sprechen, durch die man sich schaufeln muss.
Die Romane sind eine Erfahrung.